Die Belle Epoque in Europa
Österreich
Wien
Metropole der Belle Epoque
Wien, Jahrhunderte über stolze Kaiserstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, musste im Verlauf
des 19. Jahrhunderts zwei schwere Schläge einstecken, die seine Stellung in Europa nachhaltig erschütterten und
veränderten:
Gleich zu Beginn führte der Dritte Koalitionskrieg (1805) gegen Napoleon in der so genannten Dreikaiserschlacht bei
Austerlitz zur Niederlage der Koalitionstruppen und zu nicht unerheblichen Gebietsverlusten im Frieden von Pressburg; in
der Folge legte Franz II. im Jahre 1806 auf ein Ultimatum des französischen Herrschers die römisch-deutsche
Kaiserwürde nieder. Auch wenn Österreich sich nach dem Wiener Kongress von 1814/15 unter der Führung von
Metternich wieder stabilisierte, wobei ein territorial geschlossener Staat entstand, der stärker als zuvor nach
Südosten orientiert war ("Donaumonarchie"), so blieb doch als nachhaltige Folge, dass der ehemalige Deutsche Kaiser
nunmehr nur noch (seit 1804) als Franz I. das Erbkaisertum Österreich regierte.
Der zweite Schlag war der preußisch-österreichische Krieg im Jahre 1866 um die Vorherrschaft in Deutschland,
der für Österreich mit der Niederlage bei Königgrätz endete. In der Folge setzte Bismarck die Auflösung
des Deutschen Bundes sowie die "kleindeutsche" Lösung durch, welche die Gründung des Deutschen Reichs unter Preußens
Führung ohne Österreich bedeutete. Diese Niederlage und die gewaltsame Abtrennung Österreichs von den übrigen
deutschen Staaten führten jedoch zur Neuorientierung und Umgestaltung der Donaumonarchie im Jahre 1867 im Ausgleich mit
Ungarn, durch welchen unter Kaiser Franz Josef I. die k. k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn entstand.
Diesen militärischen und politischen Nackenschlägen zum Trotz erstand jedoch die Wiener Belle Epoque. Zwischen 1867 und
dem I. Weltkrieg war Wien - neben Paris - die prächtige, glanzvolle Hauptstadt Europas. Schon seit den fünfziger Jahren
schritt die Entwicklung Wiens unter der Regierung Kaiser Franz Josefs I. rasant voran; erste Eingemeindungen wurden vollzogen
(1850-61), die Stadtmauern wurden geschleift (1857) und die Ringstraßenzone angelegt (ab 1861), in welcher viele wichtige
öffentliche Gebäude - Ministerien, Museen, Hofoper und Hoftheater - errichtet wurden. Die Trinkwasserversorgung wurde
wesentlich verbessert (Erste Wiener Hochquellenleitung 1870-73) und die erste Pferdetramway gebaut (1865). Johann Strauß
Sohn spielte beim Dommayer Wiener Walzer, in Grinzing und Hietzing saß man beim Heurigen, Johannes Brahms leitete den Wiener
Singverein (1872), Anton Bruckner legt in der Piaristenkirche seine musiktheoretische Abschlussprüfung ab (1861) und
wird Lektor an der Universität (1875), und 1873 fand in Wien die VII. Weltausstellung statt. Im Zuge der zweiten Stadterweiterung
1890/92 wurde Wien Millionenstadt, 1892 wird der Bau der Stadtbahn (Metropolitanbahn), ab 1894 unter der Leitung des Architekten
Otto Wagner, begonnen. 1895 wurde der christlichsoziale Jurist Dr.
Karl Lueger zum Bürgermeister gewählt.
Zeitenwende: Das Jahr 1897
Dr. Karl Lueger war einerseits ein zwielichtiger Volkstribun, der sich zur Bekämpfung der politischen Gegner eines schamlosen
Antisemitismus bediente. Obwohl ein Anhänger des Hauses Habsburg, war er entschiedener Gegner der Doppelmonarchie und ließ
sich kaum weniger verächtlich als über Juden über die Staatsbürger ungarischer Nationalität aus. Daher weigerte
sich Kaiser Franz Josef I., ihn als Bürgermeister zu bestätigen, bis er sich nach dessen 5. Wiederwahl im Jahr 1897 dazu
genötigt sah. Auf der anderen Seite förderte Lueger die Stadtgestaltung Wiens in einem Ausmaß, dass er den Wienern
bis heute als eine Art Über-Bürgermeister erscheint: Er trieb vor allem den Ausbau und die Kommunalisierung der Wasser-,
Gas- und Elektrizitätsversorgung voran, um die Stadt von privatem Gewinnstreben unabhängig zu machen, und veranlasste u.
a. die Schaffung des Wald- und Wiesengürtels, den Bau der Zweiten Hochquellenleitung sowie Errichtung und Ausbau der öffentlichen
Verkehrsbetriebe und die Elektrifizierung der Stadtbahn.
1897 war außerdem das Jahr, in dem Johannes Brahms starb und Gustav Mahler zum
Hofoperndirektor ernannt wurde. Kurz zuvor war er zum Katholizismus konvertiert, da er als gebürtiger Jude trotz seines
Genies in dieser Zeit sonst keine Chance auf eine solche Ernennung gehabt hätte. Mit Brahms starb am 3. April die alte Zeit,
während am 11. Mai 1897 mit der berühmten Lohengrin-Vorstellung Mahlers eine neue Ära anbrach. Ab 1903 arbeitete er
zur Verwirklichung seiner Vorstellung des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes eng mit dem Maler und Bühnenbildner
Alfred Roller zusammen, der auch zu der Gruppe fortschrittlicher
junger Künstler gehörte, die im selben Jahr 1897 das konservative Künstlerhaus verließen, um eine
zeitgemäße, radikal neue Kunst zu verwirklichen, wofür sie die Vereinigung Bildender Künstler Österreichs
Secession gründeten.
Die Secession
Neben Alfred Roller gehörten zu dieser Gruppe u. a. auch Gustav und Ernst Klimt, Kolo Moser, Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich. Als Vorbild dienten ihr die schon 1892 gegründete Münchener Secession bzw. die 1893 beginnende Berliner Secessionsbewegung. Der Name Secession leitet sich aus dem römischen secessio plebis ab, den Rückzug des römischen Volkes aus den Regierungsgeschäften in Zeiten der Missherrschaft. Die Secession stand für einen Bruch mit dem traditionellen Konservativismus der Lehre in der Gründerzeit und als Alternative zum Künstlerhaus: Die Formenvielfalt des Historismus, der historische Stile zitiert und variiert hatte, sollte durch einen neuen Stil ersetzt werden, der der neuen Zeit entsprach: "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit", lautete das Motto der Secession. An der Fassade des Secessionsgebäudes (1897/98) von Joseph Maria Olbrich ist außerdem Ver Sacrum zu lesen, der heilige Frühling, der den künstlerischen Neubeginn symbolisiert. Ab 1898 wurde unter diesem Namen auch eine Zeitschrift herausgegeben, um die neuen künstlerischen Ideen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Des Weiteren wurden regelmäßig im Secessionsgebäude Ausstellungen nicht nur von Werken der Mitglieder, sondern auch zahlreicher ausländischer Künstler, gezeigt, von denen zwei von besonderer Bedeutung waren:
- Auf der VIII. Ausstellung im Jahre 1900 waren die strengen Formen der Arbeiten des Glasgower Künstlers Charles Rennie Mackintosh zu sehen, der in der Folge die Wiener Szene mehr beeinflusste als die geschwungenen floralen Motive aus Paris, Brüssel oder München, die sehr viel deutlicher in Prag, Budapest oder Ljubljana ihre Spuren hinterließen. So gab es in Wien keinen ausschließlichen Vertreter dieses floralen Jugendstils. Die für die Architektur bestimmende Schule Otto Wagners vertrat eine strengere, zum Teil klassizistisch anmutende Linie. Auch das Secessionsgebäude selbst geht trotz des reichen floralen Schmucks auf diese Vorbilder zurück. Das Ornament verlor zunächst nichts von seiner Bedeutung hinsichtlich der Außengestaltung; z. T. wirkt es sogar übertrieben, üppig und reichhaltig werden Marmor, Majolika, bunte Kacheln, Metallapplikationen, Vergoldungen u. ä. verwendet.
- Die XIV. Ausstellung, die im Jahr 1902 unter der Leitung von Josef Hoffmann stattfand, gilt als Höhepunkt der secessionistischen Bemühungen um das Gesamtkunstwerk, zu dem alle Kunstsparten beitragen sollten. Sie war dem Komponisten Ludwig van Beethoven gewidmet und hatte den weltberühmten Beethoven-Fries von Gustav Klimt zum Mittelpunkt, das als eines der Hauptwerke der Secession gilt.
Die Architektur wurde zur führenden Kunstform, aus der die Architekten nie gekannte Bedeutung erlangten und entsprechendes Selbstbewusstsein als Künstler gewannen. Ihr Ziel war nicht mehr der bloße Baukörper, sondern das architektonische Gesamtkunstwerk mit Gartengestaltung und Innenausstattung bis zum letzten kunsthandwerklichen Detail. Der Weg zu diesem Gesamtkunstwerk wurde vereinfacht durch die Gründung der Wiener Werkstätte im Jahre 1903 durch Josef Hoffmann, Koloman Moser und Fritz Wärndorfer, der Wiener Keramik im Jahre 1906 durch Michael Powolny und Berthold Löffler sowie der Wiener Mosaikwerkstätte im Jahre 1908 durch Leopold Forstner.
Wortführer und erster Präsident der Secession war Gustav Klimt. Im Jahre 1900 kam es zu einer weiteren Loslösung einer Gruppe von Künstlern aus der Künstlerhaus-Vereinigung und zur Gründung des Hagenbundes. 1902 eröffnete dieser sein eigenes Ausstellungsgebäude, die von Josef Urban errichtete Zedlitzhalle. Das verbesserte Angebot an Ausstellungsmöglichkeiten trug wesentlich zur freien Entfaltung auch der Malerei bei. Anders als das von der Architektur relativ stark abhängige Kunstgewerbe oder die Bildhauerei konnte sich die Malerei eigenständig weiterentwickeln. Künstler wie Gustav Klimt, Carl Moll, Wilhelm Bernatzik, Ferdinand Andri, Josef Engelhart, Egon Schiele, Kolo Moser, Franz Matsch, Oskar Kokoschka, Ludwig Heinrich Jungnickel, Alfred Roller und Leopold Forstner prägten Malerei und Grafik des Jugendstil in Österreich.
Es ist eine viel diskutierte Frage, ob die Entwicklung der Moderne in Kunst und Architektur im Wien der damaligen Jahrhundertwende überhaupt noch als Jugendstil bezeichnet werden darf. Die geometrische Strenge und klare Schlichtheit vieler Werke spricht dagegen, die vielfach anzutreffende verbliebene Freude an der Ornamentik jedoch eindeutig dafür. Ein Architekt, dessen Werk fraglos bereits die "Schnittstelle" zur Moderne des 20. Jahrhunderts und den Wegweiser über Art Deco hin zum Bauhaus darstellt, war Adolf Loos (1870-1933), der sich in zahlreichen Schriften und Reden (Ornament und Verbrechen) vehement gegen oberflächlichen Zierat und für nüchterne und strenge, funktionelle Architektur einsetzte.
Neben der Steinhofkirche von Otto Wagner gilt
als zweites monumentales Gesamtkunstwerk dieser Epoche das Palais Stoclet (1904-11) in Brüssel,
in welchem unter der Führung des Architekten Josef Hoffmann namhafte
Künstler, darunter Gustav Klimt,
Leopold Forstner, Richard Luksch oder Franz Metzner gemeinsam mit
kunstgewerblichen Werkstätten ein Ensemble höchster Vollendung schufen.
Seit der im Jahr 2000 abgeschlossenen Renovierung muss man meines Erachtens unbedingt auch die Friedhofskirche zum hlg. Karl Borromäus
auf dem Zentralfriedhof als drittes Gesamtkunstwerk der Epoche rechnen.
Otto Wagner (1841-1918)
Depeschenbüro Die Zeit (1902)
Rekonstruktion
© Wien Museum
Literatur:
- Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Salzburg/Wien 1990
- Paco Asensio (Hrsg.): Otto Wagner, Fotografien von János Kalmár, Wien 2002
- Bertha Blaschke, Luise Lipschitz: Architektur in Wien 1850-1930, Historismus - Jugendstil - Sachlichkeit, Wien 2003
- Gabriele Fahr-Becker: Wiener Werkstätte 1903-1932, Köln 2003
- Heinz Geretsegger, Max Peintner: Otto Wagner (1841-1918), Unbegrenzte Groszstadt, Beginn der modernen Architektur, Salzburg 1964
- Ludwig Hevesi: Acht Jahre Sezession (März 1897 - Juni 1905), Wien 1906, Reprint 1984
- Historisches Museum der Stadt Wien: Traum und Wirklichkeit - Wien 1870-1930, Katalog zur 93. Sonderausstellung, Wien 1985
- Joseph August Lux: Otto Wagner, München 1914
- Inge Podbrecky: Wiener Jugendstil - Gehen und Sehen, Wien 2001
- Stadt Wien (Hrsg.): Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus - Ein Jugendstiljuwel von Max Hegele, Wien 2000
- Toman, Rolf (Hrsg.): Wien - Kunst und Architektur, Köln 1999
- Walter Zednicek: Wiener Architektur um 1900, Wien 2001