Deutschland

München (Bayern)

1892: Die erste Secession

Im ausgehenden 19. Jahrhundert war München ein Anziehungspunkt für deutsche Künstler jeder Herkunft und Richtung, die sich berufen fühlten, etwas Neues zu schaffen. München war eine junge, moderne, aufregende Stadt, die es den Künstlern ermöglichte, neue Stilrichtungen zu schaffen. Man beschäftigte sich intensiv mit den neuen Künsten, wobei die Münchner Ausprägungen der neuen Stile oft spielerischer Natur waren und durchaus auf den althergebrachten Richtungen wie beispielsweise des Historizismus oder des Barock basierten. Nicht zuletzt verdankt die deutsche Spielart der Art Nouveau ihren Namen einer in dieser Stadt erschienen neuen Kulturzeitschrift, der Jugend.

Darüber hinaus erwarb sich München historischeVerdienste hinsichtlich der übrigen Secessionsbewegungen in Europa durch die Gründung der Münchner Secession im Jahr 1892 und durch die Schaffung der zukunftsweisenden Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk 1898. Die Stadt war zum Sammelpunkt von Künstlern jeglicher Art und Genialität geworden, welche eine internationale Boheme bildeten, deren geistiger und kultureller Mittelpunkt, vor allem der Literaten, sich in Schwabing befand, dem einstigen Dorf am Rande der Stadt. Um die zentrale Figur des "Künstlerfürsten" Franz von Stuck (1863-1928) gruppierten sich unter vielen anderen August Endell (1871-1925), Hermann Obrist (1862-1927), Richard Riemerschmid (1868-1957), Bruno Paul (1874-1968), Leo Putz (1869-1940), Thomas Theodor Heine (1867-1948) sowie der große Jugendstilkünstler und Architekt Peter Behrens (1868-1940). Der literarische Zirkel bestand vor allem aus Stefan George (1868-1933), Ludwig Thoma (1867-1921), Frank Wedekind (1864-1918), Karl Wolfskehl (1869-1948), Otto Julius Bierbaum (1865-1910), Thomas Mann (1875-1955) und Rainer Maria Rilke (1875-1926).
Das um 1900 in München geschaffene Kunstgewebe, die Keramik, das Porzellan, war auf eine positive Art volkstümlich, recht unmittelbar und von schöner einfacher Erfindung. Man bewegte sich allgemein mehr im Bereich der dekorativen und angewandten als in dem der hohen Künste. Neben dem Kunstgewerbe war es das grafische Schaffen, das den Münchener Jugendstil über die Grenzen der Stadt hinaus trug.

Münchener Secession

Im April 1892 schlossen sich mehr als hundert Künstler zum "Verein bildender Künstler Münchens e. V. Secession" zusammen. Es handelte sich um eine echte Sezession, da rund drei Viertel von ihnen noch Mitglieder der Königlich-privilegierten Münchener Künstlergenossenschaft (MKG) waren, die unter dem "tyrannischen" Einfluss des "Malerfürsten" Franz von Lenbach (1836-1904) standen. Unter vielen anderen prominenten Künstlern befanden sich auch Franz von Stuck, Peter Behrens, Max Liebermann (1847-1935) und Lovis Corinth (1858-1925), die den Historizismus, den die Akademien lehrten und predigten, ablehnten und Neues erschaffen wollten. Eine ihrer Maximen, die den Jugendstil weltweit auszeichnete, war, dass Kunst den ganzen Menschen und das gesamte gesellschaftliche Leben beträfe.
Obwohl sich Lenbach, seine führende Stellung und seinen Einfluss beim Prinzregenten Luitpold und Kultusminister Müller ausnutzend, alle Mühe gegeben hatte, gegen die Avantgarde zu intrigieren, konnte im Sommer 1893 die erste internationale Ausstellung der Secession stattfinden. Entgegen den Bemühungen Lenbachs stand der Einsatz des Kunstsammlers und Verlegers der Jugend, Georg Hirth, des Sozialistenführers Georg von Vollmar sowie des Grafen von Toerring-Jettenbach, die sich für die Secessionisten engagierten und es erreichten, dass den jungen Künstlern für ihre Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten offizielle Anerkennung zuteil wurde.
Im gleichen Jahr verließ eine weitere Gruppe von Künstlern die MKG und gründete die "Luitpold-Gruppe". Im Jahre 1899 wurde von einer Gruppe von Malern, welche alle Mitarbeiter der Jugend waren, eine weitere separatistische Künstlervereinigung unter dem Namen "Gruppe G" gebildet.
Wesentlich bedeutsamer für den Münchener Jugendstil als die Secession, weil in entscheidender Weise prägend, war die Gründung der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk im Jahre 1898. Jedoch war die Secession mit allen neu gebildeten Künstlervereinigungen im Wesentlichen solidarisch und es sollten noch einige Jahre vergehen, bis Berlin und Wien dem Münchener Beispiel folgten.

Die Jugend

Die Zeitschrift wurde im Januar 1896 von dem Münchener Verleger Georg Hirth gegründet. Sie bezeichnete sich selbst als "Wochenzeitschrift für Kunst und Leben" und beobachtete die Modeströmungen und Entwicklungen in der Kunst der Jahrhundertwende vor allem in Deutschland, informierte aber auch über die grafischen Neuerungen des Auslandes. Fast jeder Münchener Jugendstilkünstler von Rang hat sporadisch oder regelmäßig Beiträge für die Jugend geliefert.
Obwohl sie mit der Entstehung und der Entwicklung des Jugendstils recht wenig zu tun hatte, bleibt sie doch durch die Tatsache, dass die deutsche Art Nouveau, der Jugendstil, nach ihr benannt wurde, untrennbar mit ihm verbunden. Berühmt geworden sind ihre Vignetten von Otto Eckmann (1865-1902) und die farbigen Blätter von Hans Christiansen (1866-1945), welche dem in der ersten Nummer der Jugend veröffentlichten Motto folgten: "Alles, was an Althergebrachtes anlehnt, wird ausgeschlossen." Die Neuheit und Kühnheit ihrer Illustration und ihres ornamentalen Schmuckes hatten sicherlich einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Druckgrafik und Buchkunst im Deutschland der Jahrhundertwende.
Es muss jedoch gesagt werden, dass neben der beeindruckenden künstlerischen Ausstattung die Inhalte der Jugend weniger sorgfältig ausgesucht waren und relativ wahllos alles veröffentlicht wurde, von dem man annehmen konnte, dass es den neuen Geschmack traf, so dass neben frischer, frecher echter Kunst auch Biederes und Sentimentales bis hin zum Kitsch zu finden war.

Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk

Der Jugendstil hat seine Entstehung ursprünglich und in erster Linie dem kunstgewerblichen Handwerk zu verdanken, und so ist seine Entwicklung auch in München in erster Linie mit der Gründung der Vereinigten Werkstätten verbunden; diese fand im Jahre 1898 aus Anlass der "Ausstellung für Kunst und Handwerk" statt, welche offen legte, dass schon seit Längerem eine Reihe junger Künstler, zumeist Maler und Bildhauer, erfolgreich an der Neubelebung des Kunstgewerbes gearbeitet hatten. Der intellektuelle und künstlerische Kopf der Bewegung war Hermann Obrist.
Die jungen Künstler standen im Wesentlichen vor zwei Problemen: Sie mussten die technischen Bedingungen des Handwerks erlernen und, nachdem sie ihr künstlerisches Schaffen vollendet hatten, dieses vermarkten. Für diese beiden Ziele wurden die Vereinigten Werkstätten gegründet. Sie kauften jungen Künstlern ihre Entwürfe ab oder verschafften ihnen Aufträge zu größeren Innenausstattungen, welche dann von leistungsfähigen Handwerkern oder Industrieunternehmen ausgeführt wurden; außerdem wurden die fertigen Kunstwerke in permanenten oder temporären Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert und zum Kauf angeboten, wobei den Künstlern häufig noch ein Anteil am Erlös zugestanden wurde. Auf diese Weise konnten sich die Künstler unabhängig von den wirtschaftlichen Problemen ihres Schaffens ganz der Entwicklung einer modernen Kunst des täglichen Lebens widmen. So konnten sich die Vereinigten Werkstätten auf der Weltausstellung 1900 in Paris mit Innenausstattungen präsentieren, die einen durchschlagenden Erfolg hatten.
Später gründeten die Werkstätten, um preiswerter produzieren zu können, einen eigenen Fabrikbetrieb insbesondere für Kunstschreinerei und kleinere Ateliers für Metallarbeit, Stickerei und Weberei.
So waren die Werkstätten viele Jahre lang der Mittelpunkt der begabtesten Münchener Künstler auf dem Gebiet der neuen Gebrauchskunst. Neben den eigentlichen Gründern Hermann Obrist und F. A. O. Krüger (geb. 1875) waren es besonders Richard Riemerschmid, Bernhard Pankok (1872-1943), Bruno Paul und Paul Haunstein (1880-1944), die die Arbeiten der Vereinigten Werkstätten prägten.