Die Belle Epoque in Europa
Deutschland
Hessen: Darmstadt
Künstlerkolonie Mathildenhöhe
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kunst und Architektur im Deutschen Reich von einem Stil beherrscht, welcher sich im Zuge der Gründerjahre nach der Reichsgründung 1871 entwickelt hatte. Dieser Gründerzeitstil wird aus heutiger Sicht, da wir mit den Schmucklosigkeiten der billigen Nachkriegsarchitektur und den Schrecklichkeiten der Beton-Moderne leben müssen, als durchaus ansprechend, hübsch und sogar spielerisch empfunden; um die Jahrhundertwende jedoch empfand man ihn als zu schwer, zu überladen und unzeitgemäß. Die Zeit war reif für einen neuen Stil.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich das Kunsthandwerk zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt. Großherzog Ernst
Ludwig von Hessen hatte auf mehreren England-Reisen die dortige Arts-and-Crafts-Bewegung kennen gelernt und sich sogar in seinem
Darmstädter Neuen Palais von Künstlern dieser Bewegung Räume einrichten lassen. Solcher Art inspiriert beabsichtigte er
sowohl die heimische Industrie zu fördern als auch sich als Kunstmäzen zu profilieren und Darmstadt zu einem kulturellen
Mittelpunkt zu machen. Er ließ sieben Künstler in seine Residenzstadt kommen und gründete mit ihnen im Herbst 1899
die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe, wo man sich der Architektur, dem Kunsthandwerk, dem Design sowie der Bildhauerei
und der Malerei widmete.
Zu den Förderern der Kunstgewerbereform gehörte auch der Darmstädter Verleger Alexander Koch, dessen Kunstzeitschriften
Innendekoration und Deutsche Kunst und Dekoration zu Sprachrohren des neuen Stils wurden.
Die erste Ausstellung der Künstlerkolonie fand im Jahre 1901 auf der Mathildenhöhe statt. Zu dieser Ausstellung entwarfen die
Mitglieder neun Häuser im Jugendstil, die vom Keller bis zum Speicher ebenso im Jugendstil eingerichtet waren und als Beispiele
modernen Bauens und Wohnens dienen sollten. Die Ausstellung wurde ein internationaler Erfolg, auch wenn durchaus Kritik an manchen
ausgefallenen Formen laut wurde. Darmstadt wurde neben Nancy, Paris, Wien und Glasgow zu einem Zentrum europäischer Stilkunst,
und drei weitere, Aufsehen erregende Ausstellungen fanden in den Jahren 1904, 1908 und 1914 statt.
Joseph Maria Olbrich (1867-1908)
Hochzeitsturm (1908)
Joseph Maria Olbrich (1867-1908)
Ausstellungsgebäude (1907/08)
Leontij Nikolajewitsch Benois
Russische Kapelle (1897-99)
Joseph Maria Olbrich (1867-1908)
Ernst-Ludwig-Haus (1900/01)
(Museum Künstlerkolonie)
Zwischen den Künstlern kam es jedoch rasch zu unterschiedlichen Auffassungen und Eifersüchteleien, so dass die
ursprüngliche Besetzung mit Joseph Maria Olbrich, Patriz Huber,
Ludwig Habich, Rudolf Bosselt, Hans Christiansen, Paul Bürck und Peter
Behrens schon 1902 auseinander fiel.
Dennoch behielt Darmstadt bis zum ersten Weltkrieg seine Bedeutung; Versuche, nach dem Krieg die Künstlerkolonie wieder zu beleben,
schlugen jedoch weitgehend fehl, und der letzte Künstler verließ die Mathildenhöhe im Jahre 1921. Auch wenn durch
Kriegseinwirkungen manches für immer vernichtet wurde, ist noch so viel zu sehen, dass sich ein Besuch dort lohnt, ganz abgesehen
von dem einzigartigen Charme, den die Mathildenhöhe in ihrer gesamten Anlage besitzt.
Joseph Maria Olbrich (1867-1908)
Kleines Glückerthaus (1900/01), Alexandraweg 25
Innendekoration: Patriz Huber (1878-1902)
Joseph Maria Olbrich (1867-1908)
Großes Glückerthaus (1900/01), Alexandraweg 23
Innendekoration: Patriz Huber (1878-1902)
J. M. Olbrich
Haus Deiters
(1900/01)
J. M. Olbrich
Haus Deiters
(1900/01)
J. M. Olbrich
Haus Deiters
(1900/01)
Albin Müller
Schwanentempel
(1914)
Albin Müller
Schwanentempel
(1914)